Arlesheim, 5. April 2020
Die diesjährige Produktion „Noch einmal davongekommen“ entstand in Anlehnung an das Drama „Wir sind noch einmal davongekommen“ von Thornton Wilder. Mit seinem Stück hat Wilder ein modernes Welttheater geschaffen. Es gleicht einer Büchse der Pandora: Je mehr wir uns nähern, umso mehr Rätsel tauchen auf, feste Grenzen werden aufgebrochen und grössere Zusammen-hänge werden sichtbar. Im Zentrum steht die Familie Antrobus, in der sich laut Wilder „das Schicksal der ganzen Menschheit, durch ein Teleskop aus tausend Meilen Entfernung gesehen“ spiegelt.
Es geht Wilder um die Darstellung der geistigen und vitalen Kräfte, die dem Menschen immer wieder den Mut zum Leben geben. Er schrieb das Schauspiel während des zweiten Weltkrieges 1941. Ein Jahr später fand die Uraufführung statt. In den kommenden Jahrzehnten eroberte es die Bühnen der Welt.
Das Stück bedient sich neben dem Schauspiel auch der Techniken von Rundfunk, Film und Musical. Es führt vor Augen, dass das Böse und Gute ewige Bestandteile des Lebens sind. Die Tragikomödie hat keinen Anfang und kein Ende, die Unendlichkeit ist immer anwesend.
Aufrüstung, Handelskrieg, Mikroplastik, brennende Wälder, verheerende Wirbelstürme: das Klima auf der Erde, zwischen Menschen und Völkern verändert sich spürbar. Die gegenwärtig um sich greifende Corona-Krise zeigt uns auf erschreckende Art, wie verwundbar und unvorbereitet wir auf so einen Angriff sind. Noch sind die Folgen für unser Leben und Arbeiten verhältnismässig überschaubar. Unsere Fähigkeit mit Veränderungen und Krisen aller Art umzugehen wird wohl in Zukunft häufiger gefordert sein. Dichtung und Spiel bieten Möglichkeiten, uns darauf vorzubereiten und mit Veränderungen kreativ und konstruktiv umzugehen. Wilders Drama hat im Angesicht der aktuellen und aufziehenden Herausforderungen wieder eine unglaubliche Aktualität gewonnen.
Werden wir auch in Zukunft davonkommen?
DORNACH
04.09.2019
Neckisches Versteckspiel: Was Helena (Anna Sarah Waterstradt) wohl vor hat? Foto:ZVG/ Laura Pfaehler
Die Junge Bühne Dornach feierte mit «Shakespeare’s Night» am letzten Freitag auf der kleinen Bühne des Goetheanums Premiere. Die Stückcollage von Andrea Pfaehler erntete frenetischen Applaus.
THOMAS BRUNNSCHWEILER
Wer sich Peter Zadeks skandalumwitterter Inszenierung von «Othello» im Jahre 1976 entsinnen kann, erinnert sich an eine flachgewalzte Handlung und die unsäglich schludrige Aussprache des herumfläzenden Bühnenpersonals. Dagegen ist die beinahe klassisch anmutende Stückcollage «Shakespeare’s Night», von Andrea Pfaehler geschrieben und inszeniert, eine wahre Wohltat. Die jugendlichen Schauspielerinnen und Schauspieler haben eine gepflegte Ausdrucksweise und sprechen fast immer direkt zum Publikum. Vor allem bringen sie im Tanz, beim Singen oder auch Fechten ihre weiteren Fähigkeiten zur Geltung. Wie immer umwerfend sind die Ton in Ton gehaltenen, sorgfältig durchgestalteten Kostüme. Das Bühnenbild ist einfach, aber effektiv und kann in seinem Charakter mit Licht- und Nebeleffekten fast beliebig verändert werden. Die von einer Musikgruppe um Ivan Simonicini gespielte Begleitmusik unterstreicht das Geschehen so, dass sich die Klänge nie in den Vordergrund drängen.
Ein anspruchsvolles Experiment
Andrea Pfaehler hat einen Kunstgriff gewagt, der in die Post-Postmoderne passt. Sie hat «Macbeth», «Viel Lärm um nichts», «Romeo und Julia» und «Ein Sommernachtstraum» collagiert. Einige der 1200 Bühnengestalten Shakespeare’s finden sich im Königsschloss zu einem «Familientreffen» ein. Alle sind sie selbst, verfolgen ihre Ziele und Wünsche. Die Zuschauer, die alle vier Stücke bereits kennen, sind anfänglich irritiert. Für die Shakespeare-Neulinge aber wirkt die Collage von Anfang an plausibel. So ist gerade für Kinder und Jugendliche «Shakespeare’s Night» nicht nur Unterhaltung, sondern zugleich Einführung in die Dialogkunst des grossen Dramatikers. Man könnte bemängeln, der Collage fehle die Tragik einzelner Stücke, aber Theater bedeutet immer auch Spielen mit Möglichkeiten. Obwohl in «Macbeth» oder «Romeo und Julia» kein anderes als ein tragisches Ende denkbar ist, wird in der Collage das Potenzial der Personenmischung für ein Happy End genutzt.
Hervorragendes Ensemble
Es ist unmöglich, die Leistung aller Einzeln zu würdigen. Die Vielfalt der Charaktere, die Spielfreude, die Körperbeherrschung sowie die Textsicherheit machen den Charme dieser Aufführung aus. So ist Sangita Singh als vorlaute Amme praktisch ein fleischgewordener Running Gag. Ein Bühnenschwergewicht ist Lukas Hayoz als jovialer, harmoniebedürftiger König mit seinem Mantra «Komm an mein Herz!» Flurina Eckinger läuft als Lady Macbeth zu Höchstform auf. Aber auch alle anderen Mitspielenden verkörpern ihre Rolle glaubwürdig. Am meisten Heiterkeit vermochte die Theatertruppe aus «Ein Sommernachtstraum» auszulösen. «Pyramus und Thispe» ist ein Theater im Theater. Urkomisch spielt darin Orell Semmelroggen als Flaut die Rolle der Thispe mit gequetscht hoher Stimme. Ein Brüller! «Shakespeare’s Night», dessen Programmheft ebenfalls vorbildlich gestaltet ist, sei wärmstens empfohlen.
Junge Bühne Dornach: «Shakespeare’s Night», Goetheanum, Grundsteinsaal, 6. und 7. September, 19.30 Uhr; 8. September, 16 Uhr; 20. und 21. September, 19.30 Uhr; 22. September, 16 Uhr (Derniere).
www.junge-buehne.ch